Die psychologischen Gründe der Niederlage von 1940


Die Zivilbevölkerung :

Am 11. November ging Frankreich als Sieger aus dem 1.Weltkrieg hervor. Der Krieg war zwar gewonnen, aber er hatte Millionen Verletzte, Verwundete und Verstümmelte gefordert. Das Land war traumatisiert von diesem Blutbad, jeder hatte den gleichen Wunsch: nie mehr Krieg!
Frankreich wird ein tief pazifistisch eingestelltes Land, bis weit in die das Oberkommando der Armee hinein.
Man wollte glücklich leben, versteckt, geschützt durch die Maginot-Linie.
Die Maginot-Linie spiegelte die Einstellung der Einwohner Frankreichs zur damaligen Zeit wieder und wurde natürlich auch diesbezüglich beeinflusst.

Das politische Leben :

Ab 1930 erlebte Frankreich eine schwere soziale Krise. Teilweise drohte der Ausbruch eines Bürgerkrieges.
Der Krieg in Spanien erschütterte die gesamte politische Klasse, welche durch die Klassenkämpfe zunehmend den Militärs misstraute. Der Putsch Francos plagte die Gemüter.
Die politische Klasse steht ebenfalls dem Pazifismus nahe, das Parlament stimmt freiwillig Krediten für den Bau von Forts an den Grenzen zu, stellt sich jedoch der Aufstellung von Panzerdivisionen entgegen.
Das politische System der Dritten Republik ist völlig verkalkt und verhindert die Schaffung einer starken militärischen Macht.

Die Militärs :

Während die Politiker sich bekriegten, ist auch ein Konflikt in den Rängen der Militärs festzustellen: zwischen den Älteren, welche die Mehrheit bildeten und für ein im Vorfeld befestigtes Terrain waren, und den Modernen, der Panzer- und der Luftwaffe gewogen. Die Politiker unterstützten größtenteils die alten Militärs, da sie in ihren Augen weniger gefährlich und stürmisch waren.
Der Pazifismus beeinflusste die französische Militärdoktrin und ihren defensiven Charakter: im Voraus befestigtes Terrain, um jeden Preis Schutz des Staatsgebietes, die Zersplitterung der Kräfte, um eine defensive Linie zu besetzen.
Offensichtlich litt ein Großteil der Angehörigen der militärischen Klasse an einer Amnesie, nur so ist es zu erklären, dass sie die Lektionen, die man aus dem 1. Weltkrieg gezogen hatte, vergaßen. Ebenso zog niemand aus den Erfahrungen mit dem Überfall auf Polen 1939 die entscheidenden Schlüsse, die es erleichtert hätten, das Land gegen die deutschen Angreifer zu verteidigen.

Das Oberkommando der französischen Armee :

Am 9. Februar 1931 löste Maurice Gamelin, ein 44-jähriger General und brillianter Offizier, General Weygand im Posten des Generalstabschefs der Armee und Mitglied des obersten Kriegsrates ab. Im Januar 1939, ab der Neuorganisation des Oberkommandos, besetzte er drei Ämter: Vizepräsident des obersten Kriegsrates, Generalstabschef der französischen Armee (dessen Aufgabe die Koordinierung der Manöver des Heeres, der Luftwaffe und der Marine war) und Oberbefehlshaber des Heeres.
Als 1939 der Krieg ausbrach, wurde er zum Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte und der alliierten Truppen in Frankreich ernannt.
Von 1931 bis 1939 reformierte Gamelin die französische Armee und beging mehrere fatale Fehler.
Anstatt das Kommando der Armee zu vereinigen, verwässerte er es durch die Einrichtung mehrerer Zwischenebenen, zudem verkomplizierte er die Befehlskette.
Am Vorabend des Krieges richtete er zwei Operationsfelder in Frankreich ein, im Nordosten, von Dünkirchen bis zum Jura, und im Südosten, die Alpenfront.
Gamelin war es, der entgegen der Meinung Georges, der sie ausführen musste, die Operation Dyle plante.
Er hatte kein Gespür für die Rolle der Luftwaffe in diesem modernen Krieg und er stellte sich der Aufstellung großer Panzereinheiten, wie sie die Deutschen nutzen, entgegen.
Im Jahre 1939 hatte er weder das Vertrauen seiner Mitarbeiter noch die Unterstützung der Truppe.
Eingeschlossen und zurückgezogen im Schloss von Vincennes, telefonierte er lediglich mit seinen Truppen. Gamelin verabscheute moderne Übertragungsmittel wie das Radio.

Das Mysterium Maurice Gamelin :

Wie konnte ein exzellenter Offizier, ein Absolvent der Saint-Cyr derartige Fehler begehen und eine solche Blindheit an den Tag legen? Der General war seit 1930 an Syphilis erkrankt. Er wurde in Val de Grâce mit den damaligen medizinischen Mitteln Quecksilber, Arsen und Bismuth behandelt. 1933 unterzog er sich einer neuen Behandlungsmethode, der Malaria-Therapie (man hatte festgestellt, dass diese Krankheit die lähmenden Auswirkungen der Syphilis neutralisierte). Doch diese Behandlungen konnten den Fortschritt der Krankheit nicht aufhalten. 1939 litt Maurice Gamelin an Verwirrungen, hervorgerufen durch die Syphilis. Er widerspricht sich ständig, hat Erinnerungsstörungen, seine Untergebenen sind unfähig ihm eine klare Stellung zu einer Sache abzuringen.
Größenwahnsinnig, verwirrt und im Widerspruch zu seinen Ideen, ist General Gamelins Verhalten unvereinbar mit den Aufgaben eines Oberbefehlshabers der Landstreitkräfte und der alliierten Truppen in Frankreich. 
Am 19. Mai 1940 wird Gamelin kaltgestellt und (viel zu spät) durch den General Weygand, der diesen Posten bereits bis zum 9. Februar 1931 innehatte, ersetzt. 
Die Politiker, die schon immer den gefügigen Gamelin dem stürmischen Weygand vorgezogen haben, trugen eine schwere Verantwortung gegenüber dem Schicksal Frankreichs, indem die derart wichtige Verantwortungen einem schwer erkranktem Mann anvertrauten. 

Schlussfolgerung :

General Guillaumat (1843-1940) sagte einmal: „Es ist gefährlich sich von der falschen und zerstörerischen Vorstellung einnehmen zu lassen, dass man durch die Befestigung eines Landes die Unverwundbarkeit des Selbigen gewährleisten kann, dass irgendein materielles System die mühsame Arbeit der Vorbereitung der Willenskraft, der Herzen, der Hirne ersetzen kann.“
Frankreich hatte Deutschland mit einer tief pazifistischen Zivilbevölkerung, einer verkalkten politischen Führung, einer blinden und an Amnesie leidenden Militärkaste und einem kranken Generalissimus den Krieg erklärt. Die Niederlage vom Mai/Juni war vorherbestimmt. 

BG/13-11-08


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